AXEL ULRICH (Historiker)
Kulturamt/Stadtarchiv Wiesbaden, für
"Nassauische Annalen" im Hessischen Hauptstaatsarchiv.
Jahrbuch des Vereins für nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung,
Bd. 109, 1998
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Trotz der relativen Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation in
Deutschland hatte die Büchergilde Gutenberg keine sonderlich guten
Startbedingungen, als sie vor bald 75 Jahren durch Bruno Dreßler,
Vorsitzender des Bildungsverbandes der Deutschen Buchdrucker, als besondere
Abteilung seiner Organisation gegründet wurde. So musste sie nicht
nur gegen die Konkurrenz etlicher bürgerlicher Buchgemeinschaften
bestehen, sondern auch gegen den ebenfalls 1924 entstandenen sozialdemokratischen
Bücherkreis, ab Herbst 1926 zudem noch gegen die Universum-Bücherei
für Alle, die der KPD nahestand. Ihre typographisch und hinsichtlich
der Illustrationen stets sehr anspruchsvoll gestalteten Bücher - oft
solche sozialkritischer Autoren wie Jack London, Martin Andersen-Nex”,
Oskar Maria Graf und vieler anderer, darunter einige auch ihrer frühen
literarischen Leiter, Ernst Preczang, Johannes Schönherr und Erich
Knauf, und allen voran die Werke von B.Traven, ihres bedeutendsten Originalautors
- begründeten jedoch rasch ihren guten Ruf.
Die respektablen Erfolge, die sie binnen kürzester Zeit zu erzielen
vermochte, waren zu einem nicht geringen Teil ihren Vertrauensleuten zu
verdanken, welche - meist in der Buchdruckerbewegung aktiv - innerhalb
ihres Kollegen- und Bekanntenkreises für die Büchergilde kräftig
warben und außerdem für die Zustellung der georderten Bände
sorgten; alle wollten sie dazu beitragen, dem alten bildungspolitischen
Kredo der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, Wilhelm Liebknechts Devise
Wissen ist Macht - Macht ist Wissen, Geltung zu verschaffen.
Jene Jahre bis hin zu ihrer Gleichschaltung durch die Nazis dokumentiert
das in der Reihe Schriften des Fritz-Hüser-Instituts für Arbeiterliteratur
edierte Buch von Jürgen DRAGOWSKI Die Geschichte der Büchergilde
Gutenberg in der Weimarer Republik 1924-1933 (Essen- Klartext Verlag 1992).
über die folgende schwere Zeit berichtet die exzellente Studie von
Beate MESSERSCHMIDT "...von Deutschland herübergekommen"? Die "Büchergilde
Gutenberg" im Schweizer Exil (München: tuduv-Verlagsgesellschaft 1988).
Zusätzlich konnten bisher im wesentlichen nur das bereits 1947 in
Zürich erschienene Buch von Helmut Dreßler Werden und Wirken
der Büchergilde Gutenberg, die Mitgliederzeitschrift Die Büchergilde,
diverse Festschriften und Presseberichte sowie die jeweiligen Kataloge
herangezogen werden.
Zum 50. Jubiläum der zweiten Gründung der Büchergilde
Gutenberg in Deutschland hat Luise Dreßler allen Gilden-Freunden
eine ganz besondere Kostbarkeit zukommen lassen: die mit spürbar viel
Liebe zum Thema, mehr noch zu den Hauptakteuren, dazu mit großer
Umsicht und Sorgfalt erstellte Chronik der Verlegerfamilie Dreßler,
die mit unzähligen wichtigen und weniger bekannten Informationen zur
Buchdrucker-Bildungsbewegung generell wie zu dieser bis auf den heutigen
Tag beeindruckendsten deutschen Buchgemeinschaft speziell aufwartet; das
Buch bietet insofern eine gute Fortschreibung, Ergänzung und nicht
zuletzt ein Korrektiv zur bereits vorhandenen Literatur. Luise Dreßler,
die schon 1991 ein kleines Porträt Bruno Dreßlers als Privatdruck
vorgelegt hat, ist die Witwe Helmut Dreßlers, der seinem Vater 1947
in die Geschäftsführung der Büchergilde gefolgt war. In
der Hauptsache werden in ihrem neuen Werk die Zeit des Exils, sodann die
ersten Jahre westdeutscher Nachkriegsgeschichte behandelt, dies bis zum
Tode Bruno Dreßlers in Jahr 1952; schlaglichtartig kommen auch die
Wilhelminische Ära, die Weimarer Zeit und schließlich die Jahre
bis zu Helmut Dreßlers Tod Anno 1974 zur Sprache.
Das Geschehen wird nicht in der üblichen Manier geschildert bzw.
nacherzählt, es wird vielmehr wachgerufen durch die meist auszugsweise
und - wo erforderlich - behutsam kommentierte Wiedergabe unzähliger
Dokumente aus dem Nachlass der Dreßlers, hauptsächlich durch
die Korrespondenzen zwischen Vater und Sohn bzw. durch dessen Briefwechsel
mit den Eltern und mit Luise Dreßler.
Erfordert allein schon die Sichtung, Auswahl und anschließend
Kürzung des Materials einen sicheren Blick für das Wesentliche,
so ist die folgende Komposition der Texte zu einem neuen Ganzen eine Kunstfertigkeit,
die selten einmal so gut gelingt wie hier. Man meint bei dieser Lektüre
durchweg, an einer besonderen Form von "oral history" zu partizipieren.
Das Buch fasziniert demzufolge von seiner ersten bis zur letzten Seite.
Es läßt insbesondere etwas von dem ungeheuren Idealismus und
Elan derer ahnen, die das Büchermachen niemals unter bloß ökonomischen
Aspekten betreiben wollten, evoziert noch einmal den Geist der alten Buchdrucker-Bildungstradition.
Dabei sind reichlich Anekdoten und biographische Details über Schriftsteller
und Verleger sowie über Protagonisten der deutschen wie internationalen
Arbeiterbewegung zu erfahren, beispielsweise über B. Traven, Anna
Siemsen, Armin T. Wegner, Kurt Kläber, Hermann Hesse, Erich Kästner,
Hans Oprecht, Peter Suhrkamp, V.O.Stomps, selbstredend auch über Preczang,
Schönherr und Knauf, über Willi Richter, Werner Hansen und viele
andere.
Fragt sich nur, warum die modernen Macher der Büchergilde Gutenberg
das Buch nicht in ihr Verlagsprogramm aufnehmen mochten? Dass die Zeit,
sich selbst - und uns allen - Träume zu erfüllen, eben doch nicht
ganz vorbei ist, das hat Luise Dreßler eindrucksvoll bewiesen.
Bleibt zu vermerken, dass der umfangreiche Nachlass von Bruno und Helmut
Dreßler fortan im Fritz-Hüser-Institut der Forschung zur Verfügung
stehen wird.
Axel Ulrich
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Wandelhalle
der Bücherfreunde
Buchbesprechung Mai 1998 Eine Verlegerfamilie
Familienchronik, Verlagsgeschichte, Briefzitate -
diese drei Komponenten gehen in die von der Schwiegertochter Bruno und
Ehefrau Helmut Dreßlers aus privatem Material zusammengestellte Dokumentation
ein.
Der erste hatte die Gründung der "Büchergilde
Gutenberg" 1924 als Abteilung des Bildungsverbandes der deutschen Buchdrucker
initiiert und ihre Arbeit ab 1933 in der Schweiz fortgeführt, der
andere hatte den Neuaufbau in Deutschland schon in den letzten Kriegsmonaten
betrieben; Luise Wille-Dreßler war ihm dabei bald eine engagierte
Partnerin. Es ist neben den Notizen zur Gründungsgeschichte die Schilderung
dieser letzten Periode, zumal die Zeit bis in die 50er, die den am Verlagswesen
interessierten Leser am ehesten angehen wird.
... Die frühen Jahre in Leipzig/Berlin und der Schweiz
wurden bereits durch Helmut Dreßler selbst dargestellt. (1947, allerdings
weitgehend ohne die nun vorliegenden Quellenauszüge).... wird aus
der Korrespondenz ab 1944 die gewaltige Leistung des Wiederaufbaus der
Gilde deutlich: Lizenzen der Besatzungsbehörden, Papierprobleme, Verlagsrechte,
Titelauswahl und Programmplanung, Mitgliederwerbung, Absatz, Probleme mit
Konkurrenzunternehmen, das sind etwa die Themen - und unendlich viel Arbeit,
aber auch Begeisterung unter erschwerten Bedingungen (z.B. Währungsreform).
Selten nur geht es bei dieser Korrespondenz, die fast
ausschließlich innerhalb der Familie bleibt (wobei dem Vater insbesondere
die Rolle des gefragten Ratgebers zukommt), um die Buchausstattung. Geboten
wird nicht ein kompletter Briefwechsel, sondern chronikalisch aneinander
gereihte Auszüge, zwischen die bisweilen kürzere redaktionelle,
den historischen Ablauf herstellende Bemerkungen eingeschaltet sind...
Dr. Michael Drucker
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